Die Gute Stube Andelsbuch – ein Best-Practice-Beispiel für Experimentier- und Begegnungsräume
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Ein Text aus „Innovation am Land“ – ein Sketchbook für regionale Innovator:innen des Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft / Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG.
Interview mit Projektentwicklerin Simone Angerer
Die Gute Stube Andelsbuch ist ein Projekt der offenen Jugendarbeit Bregenzerwald. Beheimatet in einem ehemaligen Gasthaus, wurde durch Die Gute Stube nicht nur Leerstand reaktiviert, sondern ein lebendiges Netzwerk aufgebaut, in dem Generationenaustausch, Wissenstransfer, Selbstverwirklichung und Unternehmertum Platz findet.
Was macht Die Gute Stube zu einer guten Stube?
Das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten macht Die Gute Stube zu einer guten Stube. Zum einen die Gestaltung der Räume: In jeder Ecke ist Patina der vergangenen Geschichten der Menschen im Haus zu finden – am Teppichboden in den Hotelzimmern, auf den blauen Eckbänken, an der Stammtisch-Bar und in den Türrahmen. Die dürfen originalbelassen und gemütlich sein. Erweitert haben wir sie mit viel gestalterischem Fingerspitzengefühl und nur mit den notwendigsten Renovierungsarbeiten. So sind sie bereit für alle neuen Geschichten.
Und zum anderen mit dem, mit dem die Räume belebt werden: Wir – das Stuben-Team – sind offen für die Bedürfnisse der Stuben-Besucher:innen und Stuben-Coworker:innen. Gemeinsam werden so alle Möglichkeiten in den Räumen ausgelotet und ermöglicht. Eine bedarfsorientierte Entwicklung.
Wie sehr gelingt es euch, unterschiedliche Gruppen in Die Gute Stube zu holen miteinander zu vernetzen?
Mit Workshops erreichen wir punktuelle Zielgruppen und auch Altersklassen. Um unterschiedliche Gruppen anzusprechen und diese gezielt miteinander zu vernetzen, benötigt es spezielles Programm. Es funktioniert und gelingt im größeren Rahmen sehr gut mit umfangreicheren Veranstaltungsformaten, wie zum Beispiel unserem Finest Designmarkt (zuletzt im Jahr 2019). In kleinerer Runde ist dies aber auch sehr erfolgreich in unseren Kreativworkshops zu beobachten. Es sitzen Schüler:innen, Student:innen, Eltern und Großeltern aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten an einem Tisch und arbeiten.
Welches schöne Beispiel/Ereignis ist dadurch entstanden?
Ein wunderschönes Beispiel, welches mir bei dieser Frage immer als erstes einfällt, ist folgendes: Pia Berchtold kam als junge Frau das erste Mal während eines Finest Designmarkts in Die Gute Stube. Sie entdeckte so das Gebäude und auch Niklas und Thomas, zwei der ersten Kreativschaffenden im Coworking-Büro. Die beiden sind selbstständige Filmproduzenten. Das inspirierte Pia so sehr, dass sie gleich beim folgenden Video-Workshop in der Stube teilnahm und sich dann nach ihrem Lehrabschluss als Einzelhandelskauffrau dazu entschloss, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen und Fotos und Videos zu produzieren. Der Entschluss fiel ihr leicht, da sie zwischenzeitlich sehr eng vernetzt mit den Kreativschaffenden in der Stube war. Auch das Stuben-Team begleitete und unterstützt sie auf ihrem beruflichen und persönlichen Weg.
Ein weiteres Beispiel ist das von Alena: Zu Beginn wirkte sie ehrenamtlich in der Guten Stube mit. Einfach so, weil sie das Potenzial erkannte, die Menschen um sich mochte und sie Teil davon sein wollte. Aus dem Ehrenamt ist eine geringfügige fixe Anstellung geworden, weil es passte und der ständig steigende Bedarf an Kapazität für die Stuben-Weiterentwicklung abgedeckt werden kann.
Was hat sich verändert, seit es Die Gute Stube gibt?
Für viele Menschen, die temporär oder längerfristig im Haus arbeiten und hereinkommen, hat sich viel verändert. Freundschaften und Beziehungen sind entstanden, ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Wohlfühlens ist spürbar. Zugezogene Personen fanden über Die Gute Stube erste und nachhaltige Anknüpfungspunkte fürs Verwurzeln in der neuen Region. Die Region Bregenzerwald wurde mit einem urbanen Programm und Gedankengut bereichert.
Wie ist das Feedback?
Personen, die in Berührung mit dem Projekt kommen, sind begeistert und können es oft gar nicht fassen, dass es so etwas Innovatives und Einladendes in der Region gibt.
Wie sehr lebt Die Gute Stube von der Kümmerin? Was sind denn die wichtigsten Aufgaben, ohne die Die Gute Stube zu einer leeren Stube „verkümmern“ würde?
Zu 100 % lebt Die Gute Stube von der Kümmerin. Eine Person, die sich selbst zurückstellen kann und für die Gemeinschaft und das Projekt einsteht. Sehr viel Gespür für ganz unterschiedliche Personen und deren Bedürfnisse hat. Eine Person, die systematisch und vernetzend denkt und handelt. Die Erfahrungen aus unterschiedlichsten Bereichen hat und diese weitergibt. Sowie kollaboratives Arbeiten lebt.
Konkret sehen die Aufgaben so aus: Führungen durch das Haus, Besuchenden Möglichkeiten aufzeigen, Workshop-Leitung, Onboarding der Coworkenden, Hausmeister:innentätigkeiten, Zuhören und offenes Ohr haben, Kaffee trinken mit den Coworkenden, Wissensvermittlung, Abrechnungen, Raumplanung, Pflanzen gießen, Organisation von Coworking-Aktivitäten, Programmierung der Workshops, Moderation bei Gruppenentscheidungen, Gestaltung von Grafik und Merchandising, Social-Media-Betreuung, Update der Webseite, Content Creation und Veröffentlichung.
Inwiefern spielt die Ästhetik von Räumen für die Begegnungs- und Aufenthaltsqualität eine Rolle? Worauf muss man diesbezüglich achten? Was ist dafür förderlich bzw. hinderlich?
Ästhetik spielt eine sehr große Rolle. Ästhetik ist wichtig. Feingefühl für Gestaltung, den Bestand der Räume und das Wohlfühlen der Menschen. Die Infrastruktur sollte wandelbar und intuitiv nutzbar sein. Es braucht offene Begegnungsräume und geschlossene Konzentrationsräume. Es braucht partizipative Gestaltungsmöglichkeiten. Jeder Raum, besonders in Leerstandsobjekten, trägt Charme und Geschichte in sich. Die guten Aspekte solcher Objekte sollten hervorgehoben werden.
Die Gute Stube ist natürlich einzigartig; dennoch, was wären Eure Top-3-Tipps für den Aufbau einer solchen?
Erstens: Bestellung einer Kümmerin/eines Kümmerers mit klarem Auftrag sowie ein erweitertes Team. Zweitens: Gesicherte Finanzierung, die das Entwickeln des „Dritten Ortes“ ohne Druck möglich macht. Drittens: Bedarf der bestehenden Communitys in der Region erheben und darauf aufbauen.
Links zum Thema Dritte Orte und Coworking:
Ankündigung – neue Förderung für „Dorf Offices“ in Österreich
Was sind Dritte Orte?
Coworking-Pop-Up: Wie man ein Haus zum temporären Begegnungsort macht
Coworking und Dritte Orte im Bregenzerwald – ein Vernetzungstreffen
Coworking in der Guten Stube Andelsbuch