Was sind Dritte Orte?

Was genau sind nun diese Dritten Orte? – ein Versuch des Definierens, damit wir vom Gleichen reden. Ein Text des Projektteams LandStadt im Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung: Judith Lutz, Michael Lederer und Bertram Meusburger.

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Was ist das Verbindende?

Was ist die Grundessenz, wenn man über Dritte Orte spricht?

Was sind Grundbedürfnisse im ländlichen Raum und in der Stadt?

>> Begegnungs- und Experimentierräume jenseits von Arbeiten und privatem Wohnen

>> Bedarfsorientierte Räume mit funktionaler Mischung (Alte/Junge, Kultur und Reparieren, Musik und Nähen, Tanzen und Diskutieren, Kinderbetreuung und Bildung)

>> Offene Räume mit gewissen Spielregeln und einem notwendigen Minimum an Organisation

>> Jeder Zeit seine Räume und Notwendigkeiten (früher Spielboden in Rhomberg-Fabrik und Randspiele, Wiener Kaffeehäuser, früher über 25 offene Tanzhäuser in Vorarlberg, …). Die Definitionen haben sich mit der Zeit sehr gewandelt

>> Buntheit von international sehr unterschiedlichen Beispielen (L200 Zürich, Otelos Oberösterreich, Stadtlücken Stuttgart, KlunkerKranich Berlin, houses of culture in Polen, Nachbarschaftsclubs in Argentinien …), die dem öffentlichen Raum einen Charakter geben, ein wichtiger Beitrag für Lebensqualität sind und eine Kultur des Zusammenlebens entwickeln1.

Nicht daheim zu sein und doch zuhause. 2


Dritte Orte sind ein Treffpunkt außerhalb vom Ort der Familie und Ort der Arbeit. Der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg veröffentlichte schon 1989 das Werk „The Great Good Place“ 3, worin er drei Orte definiert: Erster Ort (Ort der Familie), Zweiter Ort (Ort der Arbeit) und Dritter Ort (Ort des Ausgleiches von beiden). Diese Orte können sich im öffentlichen Raum der Stadt/des Landes oder in halböffentlichen Räumen wie in etwa Kulturstätten oder Gastronomien befinden. Dabei soll es ein neutraler Ort sein, an dem sich Menschen eine Pause von Privatem und Beruflichem gönnen. Es ist die Rede von einem Ort, der auch ohne inhaltlichen Programm ganz simpel ausgedrückt als „ein Raum für Begegnung“ dient.

¹ Dérive Nr. 81 – Demokratische Räume
² Killt das Virus die Wiener Kaffeehauskultur? (vn.at), Gerald Matt
³ The great good place – cafés, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of the community (Oldenburg, R.)


Wie sehen Dritte Orte aus? Laut Oldenburg weist ein Dritter Ort acht Charakteristika auf:

1) Neutral: alle Menschen können kommen und gehen, wann immer sie wollen. Sie erfordern auch keine regelmäßigen Besuche.

2) Hierarchielos: für alle Menschen offen und es gibt keine Statusunterschiede.

3) Gespräche und Austausch: dies sind die wichtigsten Aktivitäten.

4) Niederschwellig und leicht zugänglich: es braucht
keine Reservierung.

5) Stammbesucher*innen: Neuankömmlinge werden nicht automatisch, aber meistens einfach akzeptiert.

6) Einfache Ausstattung: die Optik des Ortes spielt eine untergeordnete Rolle.

7) Gute Stimmung: Fröhlichkeit und Ausgelassenheit stehen im Vordergrund.

8) Zweite Heimat: Im Hinblick auf Unterstützung und Wohlbefinden gleicht der Dritte Ort einer zweiten Heimat.


Ein Konzept, dass sehr offen und breit gefasst ist. Beispiele Dritter Orte laut Oldenburg sind in etwa Kaffeehäuser, Biergärten, Frisöre, Buchläden und Bars. Alles Orte mit guter Gesellschaft und ausgelassener Stimmung. Er nennt zudem auch Hauptstraßen als Dritte Orte. Einfach Orte der Begegnung. Das informelle Zusammentreffen mit anderen Menschen soll der eigenen Gesundheit sowie auch der Gesundheit der Gesellschaft förderlich sein, so Oldenburg´s Definition. Weiters sind sie das Fundament einer funktionierenden Demokratie und sozialer Gleichstellung.


Dritte Orte sind Ausdruck
lokaler Identität. 4


Räume der Begegnungen, Räume des Dazwischen, informelle öffentliche Orte, Third Places und öffentliches Wohnzimmer für alle – so können „Dritte Orte“ auch benannt werden. Weiters werden Dritte Orte zudem als ein soziologisches und urbanes Konzept 5 beschrieben, dass die wichtige Rolle von halböffentlichen sowie halbprivaten Räumen in Hinblick auf die Förderung von sozialen Vereinen, Gemeinschaftsidentität sowie freiwilliges Engagement betont.

Diese Orte bieten Raum für Entfaltung, vor allem da sie für alle Gesellschaftsgruppen frei zugänglich sind und keine inhaltliche Aufgabe im Vordergrund steht. Es geht ums Zusammenkommen. Vor allem aber treffen Dritte Orte auch sehr gekonnt den heutigen Zeitgeist: ein Dritter Ort bietet die Möglichkeit des temporären freiwilligen Engagements. Es gibt keine Pflicht oder das „Muss“, sich für einen gewissen Zeitraum für etwas zu engagieren. Es herrschen andere Rahmenbedingungen. Gerade für die heutige Gesellschaft, die ihre Freizeit viel spontaner und freier gestalten möchte, scheinen Dritte Orte eine andere Relevanz zu bekommen.

Eine weitere Annäherung an das Konzept Dritte Orte bietet die Unterscheidung in traditionelle Dritte Orte und der Bildung einer neuen Kategorie Dritter Orte: Nennen wir sie konsumfreie Dritte Orte. Diese Annäherung sieht über den Tellerrand der klassischen Definition nach Oldenburg wie in etwa Cafés und Bars hinaus und versteht Dritte Orte als einen Ort ohne Konsumzwang. Aus diesem Grund ist Oldenburg´s Konzept immer wieder in Kritik geraten. Denn Konsumzwang schließt wiederum nur gewisse gesellschaftliche Klassen mit ein, was den Ort in Folge nicht für alle Gesellschaftsschichten frei zugänglich macht.

Die Menschen ohne Geld bleiben zuhause, wo es bequem ist und wo es Internet gibt. Der öffentliche Raum entwickelt sich zu einem Ort, den sich nur Menschen mit einem bestimmten Lebenseinkommen leisten. ⁶

Auch können Dritte Orte, je nachdem ob am Land oder in der Stadt, ganz anders ausgestaltet sein. Während es in Wien das Museumsquartier mit den „Enzis“ zum Verweilen und Zusammenkommen ist, könnte ein Dritter Ort am Land durchaus ein (leerstehender) Bauernhof sein. So klischeehaft wie es auch klingen mag. Dritte Orte sind nicht nur hippe Orte in großen Städten, sie sind genauso ein wichtiges Bindeglied zwischen Gemeinschaften im ländlichen Raum, wie in etwa das gute alte Dorfcafé.

Denn genau in ländlichen Gebieten liegt großes Potential für regionale Innovation. Gerade hier ist die Bereitschaft der Menschen für freiwilliges Engagement und gegenseitigen Austausch durch die oftmals weite räumliche Distanz voneinander, groß. Über Oldenburg´s Definition hinaus werden u.a. seit den 2000er Jahren auch Bibliotheken immer öfters als ein Dritter Ort diskutiert.

Sie entwickeln sich zunehmend zu Orten mit hoher Aufenthaltsqualität. Was eine Studie aus der Schweiz von Dr. Karsten Schuldt 7 aufzeigt ist, dass ein Ort laut Theorie die Kriterien eines Dritten Ortes erfüllen kann, aber in der Praxis von der Bevölkerung vielleicht gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Ein interessantes Paradoxon. Das macht ersichtlich, dass nur aufgrund eines theoretischen Konzeptes es nicht heißt, das die Umsetzung eines Dritten Ortes gelingt.

Erfüllt der Ort schließlich dennoch den Zweck eines Dritten Ortes, umso besser. In Bibliotheken findet meist kein Austausch mit Fremden statt bzw. werden diese nach wie vor wenig als Treffpunkt genutzt. Dennoch werden solche Bibliotheken als sehr offene Räume von der Bevölkerung wahrgenommen. Doch sind sie das wirklich? Finden in Bibliotheken auch Obdachlose Zugehörigkeit? Werden sie in diesen Räumlichkeiten genauso akzeptiert und aufgenommen? Im Endeffekt ist es immer ein Aushandlungsprozess, wofür auf alle Fälle ein gewisser Rahmen gesteckt werden muss.

Nicht alle finden Dritte Orte so toll.
Es ist letztlich ein politischer Aushandlungsprozess, ob z.B. Begegnungsorte oder Parkplätze geschaffen werden.


Kategorisierung von Dritten Orten

Nach den verschiedensten Definitionen, stellt sich nun die Frage der Kategorisierbarkeit von Beispielen Dritter Orte. Vor allem ist Oldenburg´s Konzept aus den Neunzigerjahren in der jetzigen Zeit der Digitalisierung wahrscheinlich in Frage zu stellen: Ist ein coworking space automatisch ein Dritter Ort? – hier arbeite ich doch, also ein Ort der Arbeit, ein zweiter Ort. Jedoch ohne Arbeitgeber*in, somit können auch coworking-spaces als Dritte Orte definiert werden.

Vielleicht braucht es auch einfach eine zusätzliche Ergänzung: Stichwort „Virtuelle Dritte Orte“. Durch die Technisierung in unserer Gesellschaft findet nun sehr viel Austausch & Begegnung auf virtuellem Boden statt. Auch fixe Arbeitsorte sind nicht mehr in der Form gegeben wie früher, somit würde auch der Zweite Ort entfallen, was wiederum den Dritten Ort ins Schwanken bringt. Die Grenzen der Theorie von Oldenburg verschwimmen daher immer mehr.

Auch vom „Vierten Ort“ ist zunehmend die Rede. Dieser wird ebenso als Ergänzung gesehen und beschreibt einen Ort mit multifunktionalem Nutzen. Somit kann hier temporäres Wohnen, Arbeiten wie auch gemeinschaftlicher Austausch und Kultur stattfinden bzw. Platz haben.

Alles nun etwas klarer?

Es wird deutlich, dass sich die exakte Trennung und Aufteilung in Ersten, Zweiten und Dritten Ort, als schwierig gestaltet. Die Grenzen sind eher verschwommen als klar gezogen, was aber wiederum genau diese Dritte Orte ausmacht. Es sind Orte der Übergänge. Und genau in derartigen Räumen der Transition ist Raum für Neues, für Aufbruch, für Ungeplantes, für Neugierde, für Kreativität.

Daher sind Dritte Orte oft an Übergangsbereichen von alt und neu (Leerstände) oder an der Schnittstelle von ländlichem oder urbanem Selbstverständnis (Co-Working Spaces in Dörfern). Beispiele Dritter Orte könnten verschiedener nicht sein und sind von einem unterschiedlichen Verständnis geprägt. Sie funktionieren auch nicht immer gleich und sind wahrscheinlich nicht 1:1 transferierbar. Dabei spielt die Haltung eine wesentliche Rolle.

Ein Gasthaus stellt nicht per se einen Dritten Ort dar, jedoch das Verhalten der Gastgeber*in kann es zu einem Ort machen, wo alle willkommen geheißen werden und sich wohlfühlen. Das ist das Entscheidende.


Warum aber überhaupt ein Gasthaus anhand eines theoretischen Konzeptes definieren wollen?

Es geht darum, etwas zu benennen, was allgegenwärtig ist, jedoch keinen Namen trägt. Die Definition „Dritte Orte“ erscheint zunächst sehr simpel. Jedoch ist die Anwendbarkeit des Begriffes in der Praxis schwer. Somit umso schwerer dieses Konzept und deren Bedeutung für unsere zukünftige Gestaltung unserer Räume bzw. Gestaltung unseres Miteinanders zu verdeutlichen und an den Mann und die Frau zu bringen.


Und was ist das Gemeinsame?
Auch wenn der Begriff Dritte Orte simpel klingt aber schwierig zu definieren ist, doch ist er irgendwo ein Versuch, vom Gleichen zu reden. Aller Diffusität nach bleibt am Schluss eine Gemeinsamkeit aller Definitionen: Dritte Orte vermitteln das Gefühl von Zugehörigkeit. Es müssen nicht alle Kriterien laut Oldenburg erfüllt sein. Sich eingeladen fühlen, dazuzugehören und sich wohlzufühlen. Das ist der gemeinsame Nenner. Das ist der Spirit von Dritten Orten.

Dazu zum Abschluss noch ein Gedanke des Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz 9: In einer „Gesellschaft der Singularitäten“, wo sich Menschen und Orte um Besonderheiten konkurrenzieren, und einer sich immer stärker segmentierenden Öffentlichkeit, wird die Suche nach Räumen bedeutender, die eine agora (ἀγορά) sein können. Ein Marktplatz des Austausches, des Körpers, des Spiels, der Kunst, der Philosophie und des direkten menschlichen Gespräches. Dabei geht es nicht immer nur darum, zu lernen und zu kommunizieren, sondern darum, Wahrnehmungsqualität in der Tiefe zu erfahren.

Übergänge sind kreative Freiräume, die stets Erneuerungen mit sich bringen. Es sind Phasen, in denen das Leben ein Vielfaches seiner üblichen Kraft entfaltet und mit besondere Intensität spürbar wird. Übergänge sind die poetischen Zonen des Lebens. 8

⁴ Dritte Orte im ländlichen Raum (Aatvos.com)⁸ Der unendliche Augenblick – Warum Zeiten der Unsicherheit so wertvoll sind (Knapp, N.)
⁵ Third Place Living: Die Stadt als Wohnlandschaft (zukunftsinstitut.de); Wo ist der Dritte Ort geblieben? (stadtmarketing.eu)
⁶ Warum Bibliotheken ein Dritter Ort für alle werden sollten (Aatvos.com)
⁷ Ist die Bibliothek (wirklich) ein Dritter Ort? (Schuldt, K.)
⁹ Die Gesellschaft der Singularitäten – Zum Strukturwandel der Moderne; Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne (Reckwitz, A.)

Was genau sind nun diese Dritten Orte? – ein Versuch des Definierens, damit wir vom Gleichen reden. Ein Text des Projektteams LandStadt im Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung: Judith Lutz, Michael Lederer und Bertram Meusburger.