Experimentier- und Begegnungsräume – Dritte Orte als Erfolgsbaustein
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Ein Text aus „Innovation am Land“ – ein Sketchbook für regionale Innovator:innen des Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft / Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG.
Experimentier- und Begegnungsräume sind jene Orte, die das Potenzial haben, über den gemeinsamen Austausch von unterschiedlichen Akteur:innen eine neue Perspektive auf Gewohntes zu ermöglichen.
Diese Räume, auch als „Dritte Orte“ bezeichnet, sind weder Zuhause noch Arbeitsplatz, sondern „offene Räume mit gewissen Spielregeln und einem notwendigen Minimuman Organisation“5 und einer gewissen Atmosphäre, die zum Kreativ sein – im besten Fall gemeinsam mit anderen – einlädt.
Je einladender der Raum, desto attraktiver wird er für jene, die bereit sind, sich auf Neues einzulassen, Lust an der Um- und Auseinandersetzung haben, und die eine gewisse Offenheit und Neugierde mitbringen.
„Dritte Orte sind Begegnungsräume, die sich wie zuhause anfühlen, aber außerhalb der eigenen vier Wände sind. Es sind Orte, die von Begegnung leben. Ein Treffpunkt für Gleichgesinnte und Andersdenkende. Orte, die Kreativität und Experimentieren ermöglichen. Sie sind flexibel gestaltbar und frei von Hierarchien und Zwang. Alles kann, nichts muss. Vielseitigkeit und Diversität geben neue Inspiration und Möglichkeiten, sich zu entfalten. Orte abseits von Wohnraum und Arbeit. Und trotzdem vertraute Anlaufstelle.“
— Judith Lutz, Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung (FEB)
Egal ob diese Begegnungen digital oder analog organisiert sind, ist atmosphärisch die Vermittlung des Gefühls der individuellen Sicherheit essentiell. Dass mit Reaktionen auf individuellen Input oder Anregungen und Ideen sorgsam und fair umgegangen wird, sollte eine der wenigen Regeln sein. Nur so kann das nötige Vertrauen wachsen, um Mut zum Austausch und die Freude am Experiment zu entwickeln.
„Es geht um die Neugestaltung von sozialen und institutionellen Praktiken! Wir brauchen ein neues Bewusstsein für das Zusammentreffen in physischen oder virtuellen Räumen. Das sind letztlich Kulturfragen.“
— Sigrid Egartner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen
Experimentier- und Begegnungsräume sind demnach jene Umgebungen, in denen Altgewohntes hinterfragt und neu gedacht, ausprobiert oder reorganisiert wird.
Um vom Reden ins Tun zu kommen, müssen diese Räume gut vorbereitet, moderiert und begleitet werden. Dazu braucht es ein gutes Gespür, einen offenen Geist und eine Palette an organisatorischen Skills.
Ein lebendiger Begegnungs- und Experimentierraum lebt vor allem von seiner Atmosphäre, die durch jene Menschen entsteht, die sich dort begegnen.
Es ist ein Ort, der Menschen mit Ideen und dem Mut zur Umsetzung anzieht. Diese Macher:innen sind getrieben von ihrem Lösungs- und Umsetzungswillen. Sie sind oft sehr experimentierfreudig, offen gegenüber Neuem und interessiert an konstruktivem und authentischem Feedback. Dieser Gestaltungswille kann sehr ansteckend sein, und hat man ein paar Macher:innen im Boot, springt die Begeisterung auch schnell auf andere über.
Der Soziologe Ray Oldenburg beschreibt „Dritte Orte“ als neutral, hierarchielos sowie niederschwellig und leicht zugänglich. Die materielle Ausstattung spielt eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist, dass auch Neuankömmlingen mit Offenheit und Aufnahmefreudigkeit begegnet wird. Gespräche, Austausch und gute Stimmung sind wichtig, sodass ein „Dritter Ort“ zu einer zweiten Heimat werden kann.
Diese Orte dürfen organisch wachsen, denn es erfordert Zeit, Geduld und Lust, soziale Kontakte anzubahnen und zu pflegen. Dafür braucht es eine Person in der Rolle des „Kümmerers“ bzw. der „Kümmerin“, der:die als Gastgeber:in attraktive Anlässe schafft, die Willkommens- und Vernetzungskultur pflegt und für die bunte Mischung sorgt.
Um Neues ins Rollen zu bringen, braucht es Pionier:innen. Manchmal helfen auch außergewöhnliche Formate, in denen dazu eingeladen wird, ungewöhnliche Wege abseits ausgetretener Pfade zu gehen. In der Gruppe der multilokal Lebenden gibt es möglicherweise viel Interesse und vielfältige Erfahrungen, die mit Mut neue Antworten auf alte Fragen möglich machen. Kreativ-künstlerische Formate eignen sich hervorragend dafür, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen, zu experimentieren und sich in unbekannte Gefilde vorzuwagen. Genügend Menschen zum Mitmachen zu animieren, ist ein wichtiger Meilenstein, um eine kritische Masse zu erreichen und einen Dominoeffekt zu erzielen.
Übungsfragen: Bewusstsein und Eigenheiten der Zielgruppen
Vermeintlich kleine organisatorische Details können ausschlaggebend für Erfolg oder Scheitern bei der Etablierung lebendiger Orte sein. Folgende Fragen geben eine Hilfestellung, um ein Bewusstsein für die Eigenheiten und Bedürfnisse der Zielgruppe zu entwickeln:
- Wofür steht mein „Innovationsraum“?
- Wie gestalte ich die „Schwelle“, also die Zugänglichkeit meines Innovationsraums? Sind der angesetzte Tag und die Uhrzeit geeignet und der Ort für meine Zielgruppe auch gut erreichbar?
- Passen Methoden und Setting zu meiner Zielgruppe und zu dem, was ich erreichen will?
- Wie kann ich „gute Gespräche“ unter den Teilnehmenden ermöglichen?
- Habe ich daran gedacht, auch „unübliche“ Akteur:innen einzuladen?
- Gibt es Ressourcen, auf die ich zurück greifen kann und die mich und mein Vorhaben unterstützen?
- Falls mein Vorhaben nicht nach Plan lief, was kann ich daraus lernen?
Kontakt:
Offene Jugendarbeit Bregenzerwald als Fachstelle „Dritte Orte“ in der Region Bregenzerwald, Hof 432, 6866 Andelsbuch; Projektleitung, Die Gute Stube, Simone Angerer, simone(a)ojb.at
Links zum Thema Dritte Orte und Coworking:
Ankündigung – neue Förderung für „Dorf Offices“ in Österreich
Was sind Dritte Orte?
Coworking-Pop-Up: Wie man ein Haus zum temporären Begegnungsort macht
Coworking und Dritte Orte im Bregenzerwald – ein Vernetzungstreffen
Coworking in der Guten Stube Andelsbuch